Hans Riesers Stele an der Kreismusikschule Mitterfels ist die Reproduktion eines Beitrags im Mitterfelser Magazin aus dem Jahr 2000.

Hans Riesers Stele bei der Kreismusikschule

Franz Tosch im Gespräch mit dem Bildhauer

Hans, du hast vor 10 Jahren den Auftrag bekommen, den Eingangsbereich der Kreismusik schule neben der St. Georgskirche in Mitterfels künstlerisch zu gestalten. Was geht in einem Künst ler vor, wenn er beauftragt ist, Kunst am Bau zu schaf fen. Überfällt dich eine Idee spontan oder reift die Idee dazu langsam?

Ein längerer Prozess ist es allemal, aber Unterschiede gibt es schon. Manchmal bin ich gleich stark fasziniert, weil’s mich selber persönlich anrührt, oder weil der Auftrag mit meinen künstlerischen Ideen, künstlerischen Träumen oder künstlerischen Ausdrucksweisen zusam menfällt. Dann geht’s natürlich schneller oder es ist sogar so ein Funken da, gleich inner lich, dass ich einen höheren Blutdruck habe und an dem selben Tag entweder noch erste Notizen mache, ganz vage, oder an den Ort nochmals hinfahre und dort Skizzen irgend welcher Art fertige. Der Laie würde wahrscheinlich gar nicht merken, dass das fertige Werk oft recht nahe an diesen ersten Zeichnungen „dran” ist.

Konkret zur Kreismusikschule: Hast du Vorgaben gehabt?

Ich habe hier eigentlich künsterlische Freiheit gehabt.

Ist dir das am liebsten?

Natürlich ist mir das am liebsten. Grundsätzlich habe ich diesbezüglich sehr viel Glück gehabt in meinem künstlerischen Schaffen. Ich lebe nur von der Kunst, war und bin also darauf angewiesen, mich über Aufträge zu verwirklichen - und konnte das auch meistens. Es gibt grundsätzlich ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hat die ganze Freiheit oder aber man macht sein Werk zur freien Kunst, d.h. es sind zwar Vorgaben da, aber ich bringe mich so stark ein, dass ich letztendlich sagen kann, wenn ich es für mich frei gestalten könnte, würde ich es auch nicht anders machen. Natürlich ist das auch eine Existenzfrage.

Ein Kunstwerk an einer Kreismusikschule.Da war das Thema von vornherein klar. Standder Platz für das Kunst werk fest?

Der Platz war vorgegeben, die Architektur, dasGebäude stand bereits. Für mich - auch als Mitterfelser - war es eine besondere Herausforderung, eine Plastik für die Mitterfelser Kreismusikschule zu schaffen, auch eine reizvolle Auseinandersetzung. Es galt ein sichtbares, sinnbezogenes Zeichen zu setzen als Ausdruck der Tätigkeit dieser Schule und als einefeierliche Ergänzung zur Architektur und zum Vorplatz.

Also hat dein Werk auch eine Funktion, es ist eine Art künstlerisches Türschild - oder ist das zu primitiv ausgedrückt.

Nein, nein, man könnte so sagen. Ich bin mittlerweile auf Grund meiner langen Tätigkeit und der Beobachtung der Kunstszene der Meinung, dass die Kunst am Ort oder am Bau, also die zweckbedingte Kunst, von einer extremen Kunstseite manchmal von oben herab abgetan wird, als sei das nicht die wahre Kunst. Aber alle atmen sie tief durch, wenn sie meinetwegenin Paris auf Notre Dame zugehen und dieses Eingangsportal sehen. Das wird als hohe Kunst anerkannt. Oder nehmen wir die Portaleder romanischen Kirchen, da bleibt man fast „stecken” vor Ehrfurcht vor diesen wunderbarenFiguren. Und heute sollte das plötzlich irgendwie nicht mehr den Stellenwert derhohen Kunst haben. Die künstlerische Freiheit schlägt heutzutage fast schon über, so dass manch purer Unsinn als grösste Kunst bezeichnet wird. Das sage ich ganz offen. Abermittlerweile weiß ich mich in einem sehr guten Kontext mit nicht den geringsten Künstlern.Michelangelo hat das meiste, auch die Pieta, auf Auftrag gemacht, Tizian hat seine sämtlichen Gemälde auf Auftrag gemacht, ebenso ein Henry Moore. Sogar ein Picasso hatte einen Auftrag für dieses wunderbare Gemälde „Guernica”.

Bei einer 1:1 Zeichnung ist alles im Detail zu sehen, auch die Schattenwirkung.

Du hast zur Musik ein tiefes Verhältnis. Daspielt bei der Gestaltung eines solchen Werkes der ganze musikalisch-familiäre Hintergrundeine große Rolle.

Mein Verhältnis zur Musik hat eine sehr große Rolle gespielt. In den 70-er Jahren habe ich als freie Plastik eine 30-40 cm große Stele gemacht, die ich „Musik” nannte. Sie steht heute noch in meinem Atelier als Galvano-Plastik. Aber einen so schönen Auftrag zum Thema Musik habe ich noch nicht gehabt.  Insofern hat’s mich schon gepackt, dass ich  das machen durfte.  Zu deiner Frage zur musikalisch-familiären  Vergangenheit: Ich bin ein Kriegskind, 1934  geboren. Ich sage das deswegen, weil meine  Kindheit und die frühen Jugendjahre eine sehr  arme, karge Zeit waren, aber was man trotzdem  sehr viel gemacht hat: Man hat musiziert,  man hat gesungen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen,  in der das in besonderem Maße  getan wurde. Mein Vater war über Jahrzehnte  Kapellmeister, war sein Leben lang beim Kirchenchor. Meine Brüder und ich waren alle in  der Musikkapelle und später in verschiedenen  Männerchören und Kirchenorchestern tätig.  Und was konnte man speziell in den Nachkriegszeiten besseres tun, als meist nur ein  Zimmer beheizt wurde, in dem sich praktisch  alle Leute aufhalten mussten? Man hat gesungen  und musiziert. In den 50-er Jahren haben mehr gemacht, eine kleine Kapelle gegründet,  weil alle Kinder - wir waren 9 Kinder, davon 7  Buben - ein, zwei oder drei verschiedene Instrumente gespielt haben, Blas- und Saiteninstrumente, wobei ich Klarinette spielte. Der  Sepp, unsere musikalische Vorgabe, hat das  Konservatorium in Innsbruck besucht und eine  Art Männer chor zusammengestellt..... 

....den die Mitterfelser ja schon erlebt haben.... 

Richtig, bei der Einweihung des neuen Brunnens vor der Friedenseiche ..... Der Sepp hat  uns Chöre eingelernt, nur für uns selber, zur  eigenen Freude - die Eltern haben natürlich  auch große Freude gehabt - aus dem gesamten  deutschen Liedgut, von Walther von der Vogel -  weide bis zu Messen z.B. von Schubert oder  Chorsätzen wie “Die Himmel rühmen” von  Beethoven; aber auch alpenländische Chor sätze wurden gesungen. Das war allerdings erst  nach 1947 möglich, weil da unsere Kriegsheimkehrer aus Frankreich und der älteste aus  Russland zurückgekehrt sind. Dann haben wir  in einem Doppelquartett - der Vater und sieben  Brüder - bei Feierlichkeiten, bei goldenen  Hochzeiten, bei Freunden oder zu Weihnachten  einfach nur so gesungen, später haben wir  schon auch bei richtigen Abendveranstaltungen  mitgewirkt. 

War dir bei diesem Auftrag von vornherein  klar, dass du eine Stele machen wirst, oder hast  Du dir auch überlegt, eine Skulptur in Bronze  oder einem anderen Material zu gestalten? 

Diese Überlegungen hat man zunächst einmal  alle. Es hat sich hier aber etwas ausgeschlossen.  Auf dem Platz nebenan unter der  Friedenseiche habe ich doch den Brunnen aus  Granit gestaltet. Also würde ich gleich daneben  keinen zweiten Stein aufstellen. Ich denke  schon, dass ich fähig wäre, in einer  Bronzeskulptur Musik auszudrücken. Man hat  allerdings einen finanziellen Rahmen: es ist ja  nicht so, dass einem ge sagt wird, jetzt machen  sie da was Schönes, egal wie viel es kostet.  Gerade für Mitterfels möchte man einfach das  Opti male gestalten. Bei einer Bronzeskulptur  „geht halt immer gleich die Hälfte des Preises  fremd”: für das Material, für die Gießerei. Die  Architektur verlangt aber eine bestimmte Größe. Das sind die se Dinge, die man im Vorfeld  auch durchmacht. Also musste ich mir ein  anderes Mate rial überlegen, mit dem man die  der Architektur entsprechende Größe erreicht,  und mit dem man seine Vorstellungen ausdrücken  kann.  Dann sollte auch ein Gegensatz zum Brunnen  auf dem Platz bei der Friedenseiche entstehen,  eine ungewöhnliche Darstellung, die dieser  neu gegründeten Musikschule entspricht. So  ist mir eben die Idee mit der Stele gekommen.  Da konnte ich die Wand ausfüllen, konnte auf  eine passende Größe gehen. 

Ich hab die Stele vor unserem Gespräch  noch einmal genau angeschaut. Mir ist dabei  folgender Gedanke gekommen: Du hast in den  80-er Jahren oft in Griechenland gezeichnet,  auch im Vorwald, in Mitterfels. Alle, die deine  Zeichnungen gesehen haben, bewundern die  Reduzierung auf das Wesentliche: karg gehaltene  Striche, die aber das Charakteristische  einer Landschaft, einer Architektur herausheben.  Als ich vor der Stele stand und die klaren  Schnitte sah, musste ich unwirklich an deine  Zeichnungen denken. Kann man sagen, dass  diese Art der Gestaltung ein Bindeglied zwischen  Zeichnung und Vollplastik darstellt? 

Kann man. Das ist nicht schlecht beobachtet,  weil ja das, was als Ausdruck herausgeformt  ist, das Ensemble von Instrumenten, eine  Zeichensprache hat. Weil das ganze aber in  diese stark gebogene Edelstahlplatte eingebettet  ist, ist es dann doch eine Plastik. 

Die Zeichnung  wurde auf die  Edelstahlplatte  übertragen,  die Linien dann  mit speziellen  Sägen herausgeschnitten. Als  fachkundigen  Mitarbeiter stellte  die Firma Gugg  ihren Meister  Robert Ostermeier  zur Verfügung.

Mich interessieren die technischen Bedingungen, die das Material vorgibt. Es sind unheimlich eng verlaufende Linien da, Saiten etwa oder Klaviertasten; die Nahtstellen sind oft nur 1/2 cm stark. Du hast dich sicher sehr mit dem Material Edelstahl beschäftigen müssen,  damit beim Formen, bei der dabei entstehenden  Spannung im Material nicht ein Steg reißt und das Kunstwerk kaputt geht. Ist bei all diesen filigranen Linien nie was passiert? 

Zunächst einmal: es ist nichts passiert. Zum  anderen muss ich sagen, dass ein echtes Kunst -  werk Urschöpfung ist. Ich hab’ sowas noch  nicht gemacht, hab’ es auch nicht gesehen vorher,  und das Risiko, das man damit eingeht, ist  deshalb so groß. Aber nur ist einem das vor  Begeisterung nicht bewusst. Wenn man konkret  zu arbeiten beginnt, schließt man das sehr  wohl in die Überlegung mit ein. Kannst du das  noch machen, ist das technisch noch möglich?  Klar, du gehst nicht mit der Angst heran, es  passiert. Ich habe einen 1:1 Entwurf gemacht,  das ist auf einem Foto gut zu sehen. Bei einem  1:1 Entwurf siehst du dann tatsächlich, was  machbar ist. Dann halte ich natürlich Rücksprache mit dem, der sich mit dem Material  auskennt. Schon oft wurde mir von den Fachleuten gesagt: Ihr Künstler geht immer bis auf  das Äußerste. Bei der Großzeichnung ist alles  im Detail zu sehen, z.B. auch die Schattenwirkung. Diese 1:1 Zeichnung war in diesem  Fall deswegen so wichtig, weil mir das Material fremd war, weil mir auch die Art und Weise, durch Herausschneiden etwas darzustellen,  etwas fremd war. Man hat bei der Arbeit dann  im Hinterkopf, was zu unterlassen ist, was  nicht mehr geht. Die Zeichnung wurde dann  auf den Edelstahl übertragen.  Beim Schneiden habe ich mich weiter beraten  lassen. Ich hab meine Wünsche gesagt, z.B.  wie fein die Sägen sein müssten, weil ich keine  Grate bekommen durfte. Mir wurde dann beim  Schneiden ein Meister zur Seite gestellt. 

Nachdem die Plastik in die halbrunde Form  gepresst war, wurde nichts mehr nachgearbeitet? 

Nichts mehr. Wir haben nicht ein bisschen  ergänzen müssen. Die Formgebung wurde in  der Werft in Deggendorf im Auftrag der Firma  Gugg, bei der ich meine Arbeit ausführte, vorgenommen.  Da war natürlich eine große  Spannung in mir. Es ist aber sehr langsam auf  eine immer tiefere Rundung hingebogen worden. 

Als die Edelstahlplatte auf eine immer tiefere Rundung hingebogen wurde, war auch Gugg jun. (rechts) immer dabei.

Wieso kommt es, dass das Werk, obwohl  flächig gearbeitet wurde, so plastisch wirkt? 

Das ist der eigentlich künstlerische Vorgang.  Durch die Schattenwirkung, dadurch, dass der  Schatten lebendig auf getragen ist und nicht  überall gleich, wird das Werk auch nicht - im  abwertenden Sinn - ein Emblem oder ein Aushängeschild. Ich wollte ja die Instrumente so  zeigen, wie sie gespielt werden, und nicht einfach  nur Instrumente „hinrappeln”. Um ein  Beispiel zu nennen: Es war mir sehr angelegen,  dass man z.B. die Posaune, wenn man sie  spielt, nach oben nimmt. Der Bass steht sowieso  am Boden. Die Gitarre nimmt man über die  Hand. Die Spielbarkeit muss herauskommen,  das ist das eine. Ich kam vom Inhalt zur formalen  äußeren Form. Dieser Inhalt gestaltete  sich durch die Überlegung darzustellen, welchen  individuellen Beitrag die einzelnen  Instrumente in der Musik bringen, z.B. wird  die Posaune bei der Eröffnung verwendet  (denk nur an die Fanfaren im Alten Testa ment).  Deswegen ist die Posaune in der Stele oben das  erste Instrument. Dann der Bass als Fundament  und Halt, er leitet Übergänge mit strengem  Maße, also etwa von einem Akkord in den  anderen, er steht für das musikalische  Grundgesetz. Natürlich musste ich auch ein  Klavier einfügen. Wenn ich sage, musste ich,  so heißt das, es war bei der ersten Idee nicht  dabei. Das Klavier hätte ich deswegen gerne  herausgelassen, weil es eine derartige Schwierigkeit bedeutet es einzubauen. Wohin stelle  ich die Tasten? Es muss ja immer eine Ver -  bindung vorhanden sein zum Muttermetall.  Wie will ich diese Tasten zeigen, dass sie  trotzdem noch zusammenhängen. Das hat mir  großes Kopfzerbrechen gemacht. Der Lernprozess von 20 Jahren karger Zeichnung hat  mir dabei geholfen, und ich habe es - glaube  ich - geschafft.. 

Mir fällt auf, dass die Instrumente richtig  räumlich einander zugeordnet sind, hintereinander,  übereinander - und so eine große plastische  Wirkung entsteht. 

Ja, richtig, der Bass schneidet z.B. in die Trommel ein. Der Trommler „steht dahinter”. 

Auch wenn - rein optisch - keine Spieler dargestellt  sind, wirkt das Ganze auf mich wie ein  Orchester, als Ensemble, als eine Einheit. 

Ja, du interpretierst das ganz großartig. Das ist  auch der Unterschied zum Design oder Kunst -  handwerk. Mein Endziel war, mit der Darstellung von Musikinstrumenten etwas Lebendiges zu schaffen. Wie du es ausgedrückt hast,  man hätte die Vorstellung, dass ein Orchester  spielt - das war mein innerster Wunsch. 

Gibt es eines Deiner vielen Werke, bei dem  sich die Idee, die Ausführung und auch die  Anerkennung dafür so decken, dass du sagen  könntest, es ist dein liebstes Werk? 

Diese Antwort ist schwierig. Es ist fast wie bei  einer Mutter: immer das jüngste Kind ist das  liebste. Muss ja so sein, weil die ganze Kraft,  die Intention, die ungeteilte Zuneigung ja im -  mer bei dem Werk sein muss, an dem man ge -  rade arbeitet. Es kommt zwar schnell wieder  zu einer großen Beziehung, wenn man sich -  wie jetzt durch dieses Gespräch - einem früheren  Werk nähert. Die Musikstele gehört sicher  zu meinen Favoriten. Mein liebstes Werk?  Vielleicht die „Balance”, die ich für Bonn  machen durfte, aus verschiedenen Gründen,  vor allem auch, weil ich den Men schen darstellen  durfte. 

“Natürlich stand auch eine große Spannung in mir.”

Hast du eine Wunschvorstellung, wie der  Betrachter sich dein Kunstwerk ansehen sollte? 

Nein, das habe ich nicht.  Wärst du zufrieden, wenn man sich selber  Gedanken macht, selber Interpretationen versucht?  Also, im Grunde genommen, setze ich es nicht  voraus. Eine Arbeit muss so gut sein, dass sie  selbständig das aussagt, was einem Künstler  im höchsten Maße möglich war. Allerdings:  wie du das von Anfang über alle diese Stadien  interpretiert hast, das macht mir große Freude.  Bei der Musikstele habe ich sehr viele positive  Rückmeldungen bekommen. Es ist aber  nicht so, dass man darauf wartet. Wer sich hinstellt  und sich damit auseinandersetzt und daraus  etwas findet, dem wird es Freude geben.  Das ist das Schönste für mich. 

Danke, Hans, für unser Gespräch!